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Expertenbeiträge, Referate, Berichte
Prof. Dr. Röbe, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg: "Kinder im Blick- Bedeutung und Förderung vorschulischer Erziehung"
"Leistung - (k)ein Kinderspiel" -
Aspekte eines leistungsbezogenen Selbstkonzepts von Vorschulkindern"
Beitrag im Rahmen des 7. Bildungsforums des Elternvereins Baden-Württembeg e.V.
"Kinder im Blick - Bedeutung und Förderung der vorschulischen Erziehung und Bildung"
25. November 2000
Wenn unter der Perspektive "Leistung" auf die Vorschulkinder geblickt wird, dann entspricht dies der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion. Seit die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems hinterfragt und Qualitätssteigerung gefordert wird, gilt die Leistung der Kinder zunehmend als Beweis wirksamer Bildung und Erziehung. Diese Entwicklung hat auch längst den Vorschulbereich erfasst.
Dabei tut sich zwischen den Ansprüchen des sozialen und kulturen Umfeldes und den Ansprüchen der Kinder eine enorme Spannung auf. Und gerade weil in der Leistungsdiskussion die Gefahr unübersehbar ist, dass über die Ansprüche der Kinder zu wenig nachgedacht wird, ist dieses Forum eine wichtige Gelegenheit, den notwendigen Perspektivenwechsel zu verdeutlichen und die Kinder im Blick zu haben.
Eine alltägliche Spielszene von Vorschulkindern zeigt, wie sehr Leistung selbstverständlicher Bestandteil ihres Kinderlebens ist. Leistungsthemen bestimmen ihre Lebenserfahrungen, ihre Weltwahrnehmung und ihre Weltverarbeitung. Daraus entwickeln sich Formen des Welt- und Selbstverständnisses; darin verarbeiten die Kinder ihre Leistungserfahrungen zu einem Bild von sich selbst und anderen. Es gibt also nichts, was man in das Kind lediglich hineinfüllen oder was dieses einfach übernehmen könnte. Dabei spüren viele Kinder auch, dass ihre Eltern an ihrer Leistung äusserst interessiert sind und hohe elterliche Erwartungen auf ihnen lasten. So ist heute die Zahl der Eltern groß, die mit hoher Aufmerksamkeit die Reaktionen der vorschulischen Einrichtung auf das Leisten verfolgen und daraus einen eigenen "erzieherischen Text" machen. Aber auch die Gruppe derjenigen ist nicht zu übersehen, die nicht realisieren wollen, wie wichtig die natürliche Lernbasis in der Familie, der dort gefasste Lebensmut und die dort gewonnene Zuversicht die entscheidenden Leistungskompetenzen grundlegt.
Wird die Leistung als grundlegende Entwicklungsaufgabe des Kindes verstanden, so sind vorschulische Einrichtungen Orte, an denen sich Kinder in der Obhut der Erzieherinnen der Welt zuwenden, ihre vielfältigen Kräfte schulen, eben sich bilden. Dabei vollbringen die Kinder ihre Leistungsentwicklung selbst. So wie keiner für das Kind wachsen kann, so bildet es in der Auseinandersetzung mit der Welt und sich selbst seine je eigenen Muster der Wahrnehmung, der Bewegung, der Gefühle usw. aus. Das Gelingen eines solch komplexen Entwicklungsprozesses ist jedoch an Bedingungen gebunden:
- Das kindliche Grundbedürfnis nach Geborgenheit muss respektiert werden: nur dann können Kinder in die Welt ausgreifen und Lebensmut und Leistungszuversicht gewinnen.
- Die kindliche Umwelt muss als bedeutsame Lebenswelt ausgestaltet werden, in der sich die Kinder auf einen intensiven Kommunikationsprozess mit der Umwelt einlassen können.
- Kinder brauchen in diesem Entwicklungsprozess die schützende Verbundenheit mit dem Erzieher, aber auch zugleich die zuversichtliche Freigabe, um den Weg in die Selbstständigkeit beginnen zu können.
Zu den Voraussetzungen, die den Kindern ihre Kindlichkeit lassen und den Erwachsenen Erwachsenheit zumuten, gehören die erzieherische Grundhaltung der geduldigen Präsenz, die Bereitschaft zum Verständigungsdialog mit den Kindern und die wohldosierte Herausforderung der Kinder für neue Möglichkeiten und Sinnperspektiven.
Damit wird deutlich, dass Leistungsthematik auch im vorschulischen Bereich nicht mit der Sehnsucht nach einfachen Wirklichkeiten zu bearbeiten ist.
"Zu spät ist zu spät" - Die Bedeutung der frühen Prägung"
Ausschnitt aus einem Vortrag von Professor Dr. Ernst Pöppel, Institut für Medizinische Psychologie LMU, München
7. Bildungsforum des Elternvereins Baden-Württemberg e.V.
25. November 2000
Entwicklung modifiziert während eines bestimmten Lebensabschnittes kontinuierlich den Organismus. Dabei basiert Entwicklung hauptsächlich auf einem genetischen Code, der die Reifung von organischen Systemen auslöst.
Lernen wird bezeichnet als Erwerb von neuen Verhaltensweisen, der nicht auf genetischen Einflüssen basiert. Gewöhnlich werden Entwicklung und Lernen als zwei getrenne Prozesse betrachtet, wobei Entwicklung einen genetischen Hintergrund hat und Lernen einen neuronalen.
Im Lichte neuer empirischer Belege, die durch die Forschung im Bereich der neuronalen Plastizität erbracht werden, entstand eine Interaktionistische Sichtweise. Die Interaktion ist unidirektional, da Lernen die Errungenschaften der Entwicklung steigert. Die Entwicklung stellt einen wichtigen Prozess dar, während dem die Plastizität untersucht werden kann, denn zu dieser Zeit sind die Gehirnstrukturen höchst plastisch. Das neue Konzept der "Erfahrungen-erwartenden" Plastizität (Grennough and Black, 1992) basiert auf klassischen Konzepten von sensiblen und kritischen Phasen. Während der gesamten Entwicklung passieren neuronale Banen eine sensible Phase, in der ihre anatomische und funktionale Anpassungsfähigkeit (vor allem Anpassung durch Lernen) höher ist als sonst. Eine kritische Phase ist eine spezielle Form einer sensiblen Phase, in der das Lernen absolut notwendig ist für eine normale Entwicklung einer neuronalen Verbindung. Wenn eine spezifische Stimulation überhaupt nicht ermöglicht wird, werden Fähigkeiten nicht entwickelt, so wie es bei isolierten Kindern der Fall ist (Fromkin et al, 1974; Curtus, 1977). Kritische Phasen beginnen, wenn die neuronalen Verbindungen reif sind; sie sind also abhängig von der Entwicklung des neuronalen Substrates. Kritische Phasen enden durch hormonellen Einfluß, soziale Faktoren, Streß und Aktivität. Kritische Phasen wurde beobachtet bei kindlichen Prägungen von Tieren und Menschen, dem Spracherwerb von Menschen. z.B. Prägung ist eine spezielle Form des Lernens, die während der Entwicklung auftritt. Sie ist ökonomisch und hat ein sehr anpassungsfähiges Ziel, da ein Organismus seine sozialen Präferenzen auf eine spezielle Gruppe von relevanten Individuen oder Objekten beschränkt. Prägung tritt schon ein paar Stunden nach der Geburt auf, innerhalb einer klar abgegrenzten sensiblen Phase. Sie wird ausgelöst von einer genetisch programmierten Vorliebe für einfache Zeichen-Stimuli (d.h. einfache aber hervorstechende Stimuli für eine bestimmte Gruppe von Objekten). Im Kontext von Gehirn-Plastizität und Prägung wurden die ersten systematischen Beobachtungen von Horn durchgeführt (Horn et. al., 1985, Journal of Neuroscience, 5: 3161-3168), der entdeckte, dass eine spezifische neuronale Region im Gehirn während der Prägung morphologisch verändert wird. Erstaunlicherweise wird eine Erhöhung der postsynaptischen Dichte (PSD), des Glukose-Metabolismus und der RNA-Synthese während der Prägung nur in der linken Gehirnhälte beobachtet.
Studien über Prägung basieren auch auf Tiermodellen. Die Erforschung der menschlichen Sprache ist sehr ertragreich, um das Forschungsgebiet der Prägung, der kritischen Phasen und der Plastizität auf höhere Funktionen zu erweitern.
Es wurde beobachtet, dass bei der Geburt das menschliche Gehirn universell verschaltet ist, für alle möglichen Phoneme aller Sprachen. Dies ist keine besonders effiziente Strategie, bedenkt man die hohe Variablität von Sprachlauten in den verschiedenen Sprachen. Neugeborene können alle möglichen phonemischen Kontraste unterscheiden (Eimas, 1975). Anhand von linguistischer Erfahrung werden sie ihre phonemischen Präferenzen beschränken auf die, in ihrer Muttersprache üblichen Phoneme (6-7 Monate). Bevor sie ihre ersten Worte sprechen (10 Monate) kann man sie schon als geprägt von den Sprachmustern ihrer Muttersprache bezeichnen, da sie sehr genau phonetische Prototypen erkennen können (Kuhl et. al, 1992), wie auch Betonungsmuster von Wörtern ihrer Muttersprache, Regeln nach denen die phonetischen Einheiten kombiniert werden (Jusczyk et al, 1993) und die statistische Wahrscheinlichkeit von verschiedenen Wortkombinationen in ihrer Muttersprache (Saffran et al, 1996). Darüber hinaus kreiert diese vorsprachliche Prägung eine kortikale Landkarte der Muttersprache, welche die Erkennung von verschiedenen phonetischen Unterschieden erhöht und die Erkennung von phonetischen Unterschieden minimiert, die nicht für gewöhnlich in der Muttersprache verwendet werden. Dies wird Perzeptueller Magnetischer Effekt (PME) genannt oder auch Native Language Magnet (NLM) (Kuhl et al, 1998), und wurde für die Phoneme /r/ und /l/ experimentell untersucht. Japanische und amerikanische Probanden wurden aufgefordert, die wahrgenommene Ähnlichkeit (physikalische Distanz) zwischen diesen Phonemen zu schätzen. Wurden Kindern dieser beiden Populationen im Alter von sechs Monaten getestet, zeigten sie die gleiche Fähigkeit /r/ und /l/ zu unterscheiden. Wurden sie im Alter von 10-12 Monaten getestet, zeigten japanische Kinder nicht mehr diese Unterscheidungsfähigkeiten und assimilierten /l/ und /r/, da das Phonem /l/ in der japanischen Sprache nicht existiert. Dieses Beispiel macht deutlich, wie der wahrgenommene Unterschied zwischen kategorischen Phonemen vergrößert oder verkleinert werden kann, entsprechend eines sprachlichen Perzeptuellen Magnetischen Effektes. Was diese Hauptveränderung allerdings auslöst, ist nicht bekannt. Sicher ist jedoch: "Die Hauptaufgabe eines menschlichen Kindes ist es, zu lernen in der Kultur zu funktionieren, in die es hineingeboren wurde." (Eviatar, 2000, pg. 52).
Neuronale Plastizität und sensible Phasen in Verbindung mit dem Spracherwerb wurden auch im Kontext der Zweisprachlichkeit oder des Erwerbes einer Fremdsprache untersucht. Aufgrund der Prägung bezüglich der phonetischen Unterscheidungen in der Muttersprache interferiert eine zweite Sprache, die nach der Pubertät erlernt wird, mit der Muttersprache und führt zu schlechten Leistungen. Darüber hinaus zeigten PET-Untersuchungen dieser Fälle unterschiedliche Muster in der Aktivation in den Temporallappen und im Temporoparientalen Kortex. Wird eine Fremdsprache während der frühen Kindheit gelernt, kann dieser Interferenz-Effekt minimiert werden. In der frühen Kindheit weitere Sprachen zu lernen ist also nicht schädlich.
Kann die Hypothese der Sprachprägung und Plastizität auf den Bereich der geschriebenen Sprache ausgeweitet werden? Da es für das Lesen-Lernen keine sensiblen Phasen gibt, wurde die Hypothese einer kortikalen Landkarte oder von plastischen Entwicklungen ähnlich zu denen, die bei der gesprochenen Sprache auftreten, verworfen. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, dass Lesen ein kulturelles Artefakt darstellt, das später als die gesprochene Sprache in der Evolution auftrat. Es basiert auf anderen anatomischen Substraten (hauptsächlich visuell und attentional) als Sprache. Dennoch können Plastizität und sensible Phasen von neuronalen Schaltungen das Leseverhalten beeinflussen, wie im Falle dyslexischer Kinder beweisen würde, die die ersten Phasen der Sprachentwicklung durchlaufen haben und trotz Training keine Verbesserung ihrer Lese-Fähigkeiten aufwiesen (Merzenich, 1996; Tallal, 1996). Obwohl die Idee der Existenz einer kortikalen Landkarte für geschriebene Sprache bis jetzt nicht unterstüzt wurde, kann die morphologische Struktur der Sprache linkshemisphärischen Vorteil in einer Leseaufgabe, oder das Ausmaß der hemisphärischen Aktivität beeinflussen. Beispielsweise können die Scanning-Gewohnheiten von Individuen, die ein Lesesystem von rechts nach links benutzen, die hemisphärische Asymmetrie und Lateralisation beeinflussen (Eviatar, 1997, 1999). Befunde aus der Dyslexie-Forschung bringen mehr Klarheit und beschreiben die Dyslexie als eine Entwicklungskrankheit. Eine neue holistische Sichtweise bezüglich dieses Phänomens unterstreicht eine Beteilung von genestischen und psychologischen Prozessen auf niedrigerer Ebene (Erinnerung, Aufmerksamkeit, temporale phonemische Awareness and phonologisches Dekodieren) an Lese-Störungen und bietet eine neue Herangehensweise an. Es ist jetzt eine anerkannte Schlußfolgerung, dass Dyslexie einen (strong) genetischen Grund hat (eine Verbindung mit der HLA (human leukocite antigen) - Region auf dem kurzen Arm des Chromosoms 6 wurde bewiesen). Große neurologische Beeinträchtigungen lack of planum temorale asymetry in dyslexischen Gehirnen (Galaburda, 1985, 1988), microgyria in temporoparietal areas, grösserer, runde und sogar dickerer corpus calosum (Rebichon, 1998) kategorisieren Dyslexie als Entwicklungskrankheit. Neuronale Plastizität während der Entwicklung könnte Beeinträchtigungen von einer Ebene zur anderen verbreiten und erklären, warum visuelle Magnozellen und auditorische Magnozellen im medial geniculate nucleus alle gleich betroffen sind (Galaburda, 1998). Wegen dieser großen neuralen Beeinträchtigungen ist es nun möglich, bereits bei der Geburt eine spätere Dyslexie anhand der Aufnahme von auditory event related potarrtials (Molfese, 2000) zu identifizieren.