1

Einleitung

Renate Heinisch & Edeltraud Röbe

Vor langer Zeit, als das Wünschen noch möglich war, existierte ein Land, in welchem die Menschen in bunt gemischten Altersgruppen zusammenlebten. Ohne irgendwelche Ausgrenzungen aufgrund des Alters zu machen, wurden lediglich die Lebensjahre jedes Menschen gezählt. So genossen alle, junge Familien wie Jugendliche, Erwachsene und jüngere und ältere Senioren das Leben in dieser bunten Gemeinschaft, die sich durch intensiven Austausch, gemeinsame Aktivitäten und hohen sozialen Zusammenhalt auszeichnete.

Eines Tages aber erschien ein Fremder, der die Menschen auf eine Seite ihres gemeinschaftlichen Lebens aufmerksam machte, derer sie sich bis dahin nicht bewusst gewesen waren: Laute Interaktionen, Missverständnisse, damit verbunden der Bedarf nach besonderen Bereichen und Rückzugsmöglichkeiten für die verschiedenen Generationen. Aufmerksam vernahm die Bevölkerung seine Worte und sie begann bald einzusehen, dass eine Neuordnung und Veränderung ihrer Lebensbedingungen nötig sei. Anstelle gemischter Altersgruppen schlug der Fremde die Einrichtung besonderer Räume und Einrichtungen vor, in welchen für jede Generation Privatheit, Intimität sowie besondere Aufmerksamkeit gewährleistet werden sollte. So erfanden die Menschen Vorschulen, Altenheime, Arbeitsplätze, die speziell auf Personen bestimmter Altersgruppen zugeschnitten sind und besondere Wohnmodelle für kleinere Familien. Alle schienen damit zufrieden zu sein und das Dasein in ihrer jeweils privilegierten Altersgruppe zu genießen.

Eines Tages jedoch wurde ihnen bewusst, dass sie in einen Prozess geraten waren, der ihr gesamtes Leben, die Beziehungen und Lernmöglichkeiten jeder einzelnen Generation beeinflusste. Sozialisationsmöglichkeiten verschwanden, junge und ältere Menschen entwickelten sich auseinander, der soziale Zusammenhalt in der Gemeinschaft wurde ein anderer. Die älteren Menschen in der Gemeinschaft erinnerten sich an die vergangene Zeit und auch an den Tag, an welchem der Fremde ihnen ein annehmeres Leben versprochen hatte. Doch der Mann, der die „Alterskäfige“ empfohlen hatte, war inzwischen weit weg.

Bis heute müssen die Menschen deshalb große Mühen investieren, um die Trennung der Generationen in der Gesellschaft zu überwinden.

Vorwort

Das Europäische Jahr 2012 konnte die Sensibilität dafür steigern, was ältere Menschen zum Leben in der Gesellschaft beitragen und es konnten Interessensvertreter, politische Entscheidungsträger, mit der Planung von Bildungsprozessen beschäftigte Personen, Wissenschaftler und Spitzenverbände auf allen Ebenen dazu angeregt werden, aktives Altern und die Solidarität zwischen den Generationen zu fördern. Der Elternverein Baden-Württemberg und dessen Vorsitzende, Dr. Renate Heinisch, brachten das „GoAct“- Projekt, „Generationen in Aktion“, ins Rollen, welches das ambitionierte Ziel verfolgt, sich mit der gesamten Lebensspanne des Menschen zu beschäftigen und europaweit eine einheitliche Gestaltung des Lernens und des Dialogs zwischen den Generationen zu entwickeln.

Heutzutage leben drei bis vier Generationen nebeneinander und nähern sich stetig einander an. Inzwischen konnten in vielen Projekten bereits Ansätze entwickelt werden, um innovative, kreative, aktive, interkulturelle, reflexive und auf Partnerschaftlichkeit ausgerichtete Möglichkeiten zu finden, durch die Gerechtigkeit, der soziale Zusammenhalt und aktive Bürgerschaft gefördert werden können. Es scheinen sich Gemeinsamkeiten zu zeigen, das Bild des Alterns verändert sich ins Positive, Unternehmungsgeist, Zufriedenheit und Gelassenheit stellen sich ein und tragen somit zum Aufbau von Selbstbewusstsein, zur Selbstverwirklichung und Selbstgestaltung bei. Das „GoAct“-Projekt basiert auf der Annahme, dass Bildung ein wirksames Mittel ist, um das Verständnis von Altern in der Gesellschaft zu verändern und einen Austausch zwischen jüngeren und älteren Generationen zu ermöglichen.

Im Rahmen des Projektes konnten innerhalb dieses weiten Feldes vier Themenblöcke identifiziert werden. Diese haben einige Anliegen gemeinsam, während sie verschiedene Akteure, Träger und Ansätze betreffen. Sie beziehen sich auf alles zielgerichtete, gemeinsame und förderliche Lernen von Mitgliedern verschiedener Generationen, und steigern das Bewusstsein für generationenübergreifendes Lernen sowohl auf individueller wie institutioneller Ebene als auch durch alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens hindurch. Die Themen haben ihren Ursprung im Kontext der Familie, wo die Reise des Lebens ihren Anfang nimmt:

Generationenübergreifendes Lernen in Institutionen der frühkindlichen Bildung (umfasst im Allgemeinen Kinder von 3 – 10 Jahren)

Generationenübergreifendes Lernen in der Erwachsenenbildung

Generationenübergreifendes Lernen im Arbeitsleben (und am Arbeitsplatz)

Generationenübergreifendes Lernen in interkulturellen Kontexten

Generationenübergreifendes Lernen in der Familie

Einer der bedeutendsten Meilensteine des „GoAct“-Projekts war die Entwicklung eines generationenübergreifenden Bildungsplans (GBP). Dieser soll für politische Entscheidungsträger und Fachkräfte im Bereich Bildung und Erwachsenenbildung einen Leitfaden dafür darstellen, wie das Bewusstsein für Themen rund um das Älterwerden und damit das in der Gesellschaft präsente Bild von Altern durch Bildung verändert werden kann. Gemäß den Worten des griechischen Philosophen Sokrates: „Ich kann niemanden irgendetwas lehren. Ich kann ihn lediglich dazu anregen, eigenständig zu denken”, fordert der GBP gerade nicht, einen Katalog an Zielen und Maßstäben zu „lehren“. Er arbeitet vielmehr mit stimulierenden Impulsen, Fragen, Gesprächen, kurzen Hintergrundinformationen durch Experten sowie mit Verweisen auf erfolgreiche Praxisbeispiele. Generationenübergreifendes Lernen sollte das Bewusstheit verschiedener Zielgruppen fördern: Lehrende im Bereich interkulturelles Lernen, Eltern, Politiker und politische Entscheidungsträger, Journalisten, Filmemacher, Kinderbuchautoren, Institutionen der Erzieher- und Lehrerausbildung usw.. Lebenslanges Lernen soll alle Altersgruppen auf ihrer Reise durch das Leben begleiten. Ein Schlüsselprozess hierfür ist, reflexive Bilder von Generationen und Altersgruppen zu schaffen, von ihrer Zusammengehörigkeit und ihrem gegenseitigen Unterstützungspotenzial, um eine humane Gesellschaft aufzubauen, in welcher die menschliche Würde lebenslang, von der Geburt an bis zum Tod, respektiert wird.