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Der generationenübergreifende Bildungsplan – Die Perspektive der Familie

Renate Heinisch & Edeltraud Röbe

Fragen an Eltern und pädagogische Einrichtungen:

  1. Lebt das Kind in regelmäßigem Kontakt zu verschiedenen Generationen?
  2. Passen die Großeltern regelmäßig auf ihr Enkelkind auf und sind sie verlässliche Partner in der Kinderbetreuung? (z.B.: “Grandparental leave”, die Möglichkeit, die Erwerbstätigkeit zu reduzieren oder zu unterbrechen, um sich um die Enkelkinder zu kümmern; Einsatz als „Au-Pair-Großmutter“; oder „Großeltern-Service-Points“)
  3. Lebt das Kind in einer Nachbarschaft, in welcher verschiedene Generationen vertreten sind, und hat es die Gelegenheit zu informellen Kontakten, welche die Möglichkeit mit sich bringen können, Gespräche zu führen, einander auszuhelfen und den Blick auf andere Generationen zu erweitern?
  4. Wie sprechen die Eltern / Erzieher /-innen über das Altsein, über verschiedene Altersgruppen und das eigene Alter?
  5. Wo und wie kommt ein Kind mit älteren Menschen in Kontakt? Welche Altersbilder kommen ihnen in den Sinn?
  6. Sind sich Erzieherinnen und Lehrkräfte darüber bewusst, wie die Vorstellungen des Kindes über das Alter aussehen? Gibt es ausgewählte Bücher, Filme oder künstlerische Darstellungen, die Altersbilder repräsentieren und Diskussionen einleiten?
  7. Hat die Gemeinde, in der das Kind lebt, bereits ein kulturelles Programm mit Aktivitäten ausgearbeitet, die generationenübergreifenden Anforderungen entsprechen?
  8. Bildet die Gemeinde ein Netzwerk von kulturellen Einrichtungen, von Berufsgruppen, die junge und alte Menschen unterstützen, von Künstlern und sozialen Fachkräften, um generationenübergreifende Projekte zu fördern und zu unterstützen? (z.B. „ Eine Gemeinde im Spielfieber“– Eine Woche lang entdecken Jung und Alt Klassiker und neue Spiele gemeinsam)
  9. Bekommen die Kinder in der ersten pädagogischen Einrichtung, die sie besuchen, die Gelegenheit, generationenübergreifende Kontakte zu knüpfen? Welcher Altersgruppe gehört das Personal an? Sind ältere Menschen und die jüngeren Fachkräfte in einen weiteren sozialen Rahmens eingebettet?
  10. Sind die älteren Menschen mit ihren Fähigkeiten als Laien im Konzept der Institution integriert und Teil der täglichen Routinen und der Kommunikation (Vgl. die Early Excellence Centres in Großbritannien)?
  11. Werden ältere Menschen in Aktivitäten mit Kindern eingebunden und sind sie auf ihre Freiwilligenarbeit und die damit verbundene Verantwortung vorbereitet?
  12. “Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf.” Ist dieses afrikanische Sprichwort eindringlich genug, um die Aufmerksamkeit der Gemeinde für Vorhaben zu wecken, die innovative und generationenübergreifende Ansätze beinhalten und um den sozialen Zusammenhalt zu festigen? Welche sozialen Initiativen und Verbände innerhalb Gemeinde könnten wichtige Türöffner für generationenübergreifendes Lernen sein?

Warum generationenübergreifendes Lernen und Solidarität wichtig sind – Die Perspektive der Familie

An dem Tag, an dem ein Mensch geboren wird, beginnt die Reise durch sein Leben. Er oder sie begegnet allen möglichen Menschen, welche verschiedenste Denk- und Handlungsmuster und vielfältigste kulturelle Orientierungen mit sich bringen. So gleicht jede Familie einer ganzen Welt von Personen und Bedeutungen, welche tief verankert in unserem Gedächtnis als lebhafte Bilder fortbestehen. In Bezug auf die Gesellschaft ist die Familie das wesentliche Umfeld, in welchem eine Person durch emotionale Bindungen und Beziehungen verwurzelt ist. Die Familie ist und bleibt für immer der „Heimathafen“, von welchem aus ein Kind zur Reise durch sein weiteres Lebens ablegt.

Soziale Veränderungen in europäischen Gesellschaften wirken sich auf das Leben, auf die Beziehungen und Lernmöglichkeiten aller Menschen aus, sowohl der älteren Menschen als auch der kleinen Kinder. Diese wachsen meist in kleineren Familien auf und haben seltener Gelegenheit, Kontakte zu Brüdern und Schwestern, zu verschiedenen Altersgruppen zu knüpfen. Ältere Menschen leben meist länger, doch sind sie dabei häufig von jüngeren Generationen isoliert. Die zunehmende Trennung der Generationen in Einrichtungen und Bereiche für gleiche Altersgruppen führt dazu, dass kleinen Kindern und älteren Menschen häufig die Möglichkeiten versagt bleiben, miteinander zu interagieren, sich gegenseitig zu verstehen und voneinander zu lernen, wodurch letztendlich der Hauptbezugspunkt für das Knüpfen intergenerationeller Bindungen verloren geht.

Die Geburt eines Kindes verändert die Rolle aller Familienmitglieder. Häufig werden Großeltern zu verlässlichen und unentbehrlichen Unterstützern der jungen Familie hinsichtlich der Kinderbetreuung sowie im finanziellen Bereich. Die Großeltern stehen den Kindern nahe und sind mit ihnen vertraut, aber sie verhalten sich anders als deren Eltern und nehmen damit eine komplementäre Rolle ein. Gleichzeitig wirken sich der Kontakt zur jungen Generation und das Verhältnis zu ihren eigenen, erwachsen gewordenen Kindern persönlich und langfristig positiv auf die Großeltern selbst aus. In pädagogischen Einrichtungen (Kindergärten und Grundschulklassen) wurde bereits begonnen, (meist männliche) Senioren auf freiwilliger Basis einzuladen, um gemeinsam Dinge zu unternehmen, wie miteinander zu lesen und zu lernen, gemeinsam zu spielen, zu singen und Spaß zu haben. Ältere Menschen besitzen offensichtlich eine wichtige Schlüsselkompetenz für die Arbeit mit Kindern: Sie wenden Zeit, gute Ideen und Geduld zum Zuhören auf. Auf diese Weise können gegenseitiges Verstehen, emotionale Unterstützung, Geduld, Verlässlichkeit und das Gefühl individueller Wertschätzung durch die Älteren zur kindlichen Entwicklung beitragen. Während sie ihre Welt entdecken, brauchen Kinder Gefährten, die ihre Fragen beantworten, ihre Ergebnisse wertschätzen, sie zu Neugier ermutigen, an ihren kreativen Ideen interessiert sind. Wieder ist es die ältere Generation, die eine zentrale Rolle im Prozess des Erklärens und Interpretierens von Welt einnimmt.

Durch das Vorlesen und Erzählen von Geschichten, was bis heute eine wichtige Methode ist, um Erfahrungen und Traditionen weiterzugeben, kommen die Generationen in einer besonderen Interaktionsform zusammen, wo beide Seiten ihre jeweiligen Probleme, Interessen und Sichtweisen einbringen können. Da solche Situationen psychologische Dynamiken entwickeln können, ist Sensibilität wichtig. Indem sie Dinge und Gegenstände erklären (beispielsweise Spielzeuge, Einrichtungsgegenstände, Arbeitsräume, Gebäude, Straßen oder die Natur), scheinen ältere Menschen eine lebende Verbindung zur Geschichte der Menschheit und zur kulturellen Herkunft darzustellen. Kinder bedürfen deren Geschichten als eine Art lebendiges Gedächtnis, um ihre eigenen Haltungen zu finden, Werte zu teilen und ein Gefühl für Identität und unterschiedliche Perspektiven zu entwickeln.

Offensichtlich sind sie zudem von ähnlichen Themen, Probleme und Lösungen betroffen (z.B. Fragen gesunder Ernährung, bewusster Einsatz der Sinne, Hilfsmittel und Gerätschaften des alltäglichen Lebens wie sichere Fußgängerüberwege oder kinderwagen- und rollatorengerechte Wege). Als äußerst beliebt und erfolgreich erweisen sich Aktivitäten in den Bereichen Musik, Theater, Lesen, Natur, Sozialleben, einer wichtigen Grundlage für Solidarität und späteres ehrenamtliches Engagement.

Gegenwärtige Forschungen heben die Tatsache hervor, dass das Bild der jüngeren Generation vom Alter positiver ist, je häufiger die Jüngeren in Kontakt mit älteren Personen stehen und je angenehmer dieser Kontakt verläuft. Im Sozialisationsprozess weitet sich diese positive Einstellung auf ältere Menschen außerhalb der Familie aus. Forschungsergebnisse zeigen, dass bereits kleine Kinder ihre Altersvorstellungen ausdifferenzieren, wobei sie Eigenschaften wie Auftreten (Aussehen), Persönlichkeit, Gesundheit und Leistungsfähigkeit berücksichtigen und Unterschiede in Alterungsprozessen und individuelle Besonderheiten wahrnehmen sowie die wichtige Rolle des Lernens, Aktivierens und der Betreuungssituation. Auf diese Weise begreifen bereits junge Menschen, dass jedes Leben sich einmal seinem Ende zuneigt. Viele ältere Menschen sind früh von Krankheiten, Demenz oder Einsamkeit betroffen, andere repräsentieren das Bild einer lebhaften, vitalen Generation junger Senioren und kümmern sich um ihre 80-jährigen Eltern und Freunde.

Die Grundeinstellung vom Kindesalter an sollte nicht von Angst vor Alter, Leiden und Tod und letztlich vom Aufgeben gekennzeichnet sein, sondern eher von Vorbeugung. Und dies meint definitiv mehr als Oberflächlichkeiten. Es beinhaltet vielmehr die Suche nach Aufgaben, mobilisierende und begeisternde Beschäftigungen. Es geht nicht darum, vor dem Altern davonzulaufen, sondern aktiv zu altern. Man muss sich selbst jeden Tag neu erfinden und herausfinden, was möglich ist und was nicht. Jeder Mensch braucht Zeit, Geduld, Nerven und Achtsamkeit für seine Reise durch das Alter.